Ich wollte immer schon besonders gut sein, in allem. Gute Sportlerin, gute Schülerin, überhaupt ein beliebtes Mädchen, eine von allen gemochte Kollegin, die perfekte Mutter und nicht zu vergessen, eine verständnisvolle Freundin und Partnerin.
Ich war stets bemüht.
Doch trotz aller Anstrengung fühlte ich mich nie gut genug. Weil ich weder für alles immer Verständnis hatte noch jedem zuhören wollte. Weil ich manchmal aufbrausend statt liebevoll war und genervt statt geduldig. Meine Idealvorstellung kämpfte stets mit meinem wahren Ich, was mich frustrierte und dazu führte, dass ich von mir selbst enttäuscht war.
Wie man sieht, floss der Großteil meiner Lebensenergie in das aussichtslose Streben, perfekt zu sein. Und in die Schuldgefühle, wenn ich es nicht schaffte.
Heute, mit fast 60, versuche ich schön lange nicht mehr perfekt zu sein. Ich bemühe mich generell nicht mehr darum, irgendwie zu sein, um mich dann schlecht zu fühlen, weil ich es nicht bin. Eines Tages, zwischen Hausarbeit und verständnisvoll Nicken im Büro wurde mir klar:
Meine Lebensaufgabe ist es weder, eine gute Mutter, noch eine liebevolle Partnerin, eine perfekte Chefin oder ein netter Mensch zu sein.
Dezember 2015